AUFMERKSAMES ZUHÖREN = ZIELLOSES ZUHÖREN
Ein erfolgreiches Zuhören braucht lediglich Aufmerksamkeit - nicht mehr und nicht weniger. Eine Aufmerksamkeit mit Offenheit und echtem Interesse, ohne Erwartungen, ohne zu bewerten und vor allem ohne eigene Agenda...sozusagen ziellos. Denn dann machen wir genau das, was Carl Rogers bereits in den 1940er Jahren als Zuhörparameter verfasst hat, ganz von alleine. Allerdings immer auf eine natürliche Art und Weise, sodass nicht die Gefahr besteht, dass es aufgesetzt, einstudiert oder therapeutisch wirkt.
Die Basis für diese Art des reinen, ziellosen Zuhörens ist Zeit oder genauer gesagt, die Bereitschaft, sich die Zeit für das Teammitglied zu nehmen. Betrachten wir unsere Zeit als begrenzt, dann kommen uns folgende Gedanken "Das ist doch jetzt nicht relevant!" oder "Können wir mal zum Punkt kommen?!" und die Aufmerksamkeit ist nur noch zum Teil bei meinem Gegenüber. Zum anderen Teil beschäftigt man sich mit dem Gedanken, wie man das Gespräch beschleunigen könnte. Wir entwickeln ein Ziel und verlieren dadurch unsere Offenheit. Wir prüfen das Gesagte auf Relevanz, selektieren wichtig und unwichtig und hören nicht mehr zu.
Die wesentlichste Stellschraube des ziellosen Zuhörens ist das Nicht-Bewerten. Je besser es gelingt, sich nicht permanent zu fragen, ob es gut oder schlecht ist, was unser Gesprächspartner/unsere Gesprächspartnerin sagt, desto besser gelingt auch das Zuhören. Dies erfordert mit Sicherheit viel Übung - aber nur so können wesentliche Details wahrgenommen werden. Besonders herausfordernd wird das Nicht-Werten, wenn das Teammitglied Meinungen äußert, die unseren Grundeinstellungen entgegenlaufen. Wir interpretieren dies häufig als Angriff auf unsere Identität, da unsere Überzeugungen ja ein Teil unserer Persönlichkeit sind. In der Folge verfallen wir als Zuhörer in die Rolle des Staatsanwaltes, der in dem Gesagten nach Widersprüchen sucht, um die Glaubwürdigkeit des Angeklagten in Frage zu stellen. In dem Modus haben wir ein extrem zielgerichtetes Zuhören - der Informationsfluss wird stark gefährdet und auch die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern wird zunhemend belastet.
In diesem Fall gilt es zu verstehen, warum einen eine bestimmte Aussage so triggert. Um im Modus des ziellosen Zuhörens zu bleiben, sollten wir uns klar machen, dass uns der Gegenüber damit nicht provozieren ider angreifen möchte: "Das geht mir zwar gegen den Strich, aber es geht nicht gegen mich als Person." Wie alle unbewussten psychologischen Mechanismen verliert auch dieser Schutzreflex einen erheblichen Teil seiner Kraft, wenn ich ihn mir bewusst mache. Ein Gedankenexperiment an dieser Stelle ("War wäre, wenn mein Gesprächspartner recht hat?") zeigt darüberhinaus, dass ein aufmerksames und offenes Zuhören neben der Selbstbeherrschung vor allem auch Mut erfordert. Denn in diesem Fall geht man bewusst die Gefahr ein, die eigene Meinung ändern zu müssen.
Ein weiterer psychologischer Mechanismus und tapferer Widersacher gegen das reine Zuhören ist die (bei fast allen Menschen vorhandene) Neigung, die Gesprächsführung zu übernehmen und den Fokus auf sich selbst zu lenken. Der US-Soziologe Charles Derber nennt diese Tendenz "Conversational Narcissism". Um diesen Konversationsnarzissmus in den Griff zu bekommen, hilft es ungemein, sich immer wieder bewusst zu machen, dass es beim Zuhören nicht um einen selbst geht - es geht nicht um die eigenen Erfahrungen, nicht um die eigenen Ideen. All das darf (erst einmal) draußen bleiben.
Grundprinzipien erfolgreichen Zuhörens
1) Sich Zeit nehmen
2) Das Gehörte (erst einmal) nicht bewerten
3) Auch bei abweichender Meinung offen bleiben
4) Sich bewusst zurücknehmen
5) Gezielt nachfragen
Volle Aufmerksamkeit auf den Gegenüber bei gleichzeitig kritischer Betrachtung der eigenen Person - das ist das Geheimnis und das Erfolgsrezept des Zuhörens und gleichzeitig die große Herausforderung, die dieses zur vielleicht schwierigsten Disziplin der Kommunikation macht.
Quelle und weiterführende Informationen:
NIEKERKEN: Das Geheimnis richtigen Zuhörens. Springer, 2020.