Organisationen im Wandel – vom Ich zum Wir
Wenn es so etwas wie eine Zauberformel der modernen Arbeitswelt gibt, dann besteht sie lediglich aus zwei Buchstaben: K und O. Denn dass sich die komplexen Herausforderungen nur in enger Kollaboration und Kooperation meistern lassen, ist mittlerweile so unstrittig wie bekannt – es ist bereits zu einem Axiom der modernen Arbeitswelt geworden. Weniger klar ist es, wie es gelingt, kollektiv in den Ko-Modus und damit in den Modus des Miteinanders zu schalten.
Der Werte-Shift
Die Einführung von entsprechenden Prozessen und Tools kann dabei nur ein kleiner Teil der Lösung sein. Der deutlich schwierigere und dafür aber bedeutendere Anteil liegt in der Veränderung unseres Denkens – vor allem der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Führungsrollen. Statt dem Bewegen auf der Karriereleiter und dem Feiern von individuellen Erfolgen braucht es einen kollektiven Fokus auf die Frage, wie jede und jeder Einzelne mit seinen individuellen Stärken, Talenten, Kenntnissen und Präferenzen den größten Beitrag zu anstehenden Arbeiten und Projekten (im Team) leisten kann. Allgemeiner ausgedrückt: Es braucht in den Organisationen einen Shift – vom Ich zum Wir – der die Individualität der Beschäftigten nicht negiert, sondern intelligent integriert.
Über die Frage, wie wir diesen Wandel und damit auch ein verändertes Mindset erreichen, wurde in vielen Workshops und Coachings bereits gesprochen und es wurden zahlreiche Antworten und detaillierte Vorgehensweisen erarbeitet. Doch dabei dreht es sich letztendlich immer wieder um die gleichen Grundhaltungen, sodass wir die Prinzipien unseres Denkens und Handelns auf folgende fünf Aspekte reduzieren und vor allem basieren können. Wenn wir diese beachten, vorleben und gemeinsam im Team immer wieder „erfahren“ kann das Kerngerüst einer (neuen) Wir-Kultur entstehen:
Würdigung
Wenn wir das Handeln, das Denken und die Werte eines Mitarbeiters würdigen, verleihen wir ihm Würde – und gleichzeitig auch uns selbst. Denn Würde besitzt nur der Mensch, der in der Lage ist, andere Menschen zu würdigen. Konkret bedeutet dies in einer Arbeitssituation, den Gegenüber ernst zu nehmen, sich mit dessen Ideen, Ansichten und Argumenten ernsthaft zu beschäftigen und deren Wert anzuerkennen, selbst wenn man diese nicht teilt.
Reflexionsfragen:
- Höre ich wirklich und offen zu, wenn Kolleginnen und Kollegen ihre Position schildern? Oder warte ich nur auf einen Ansatzpunkt, um meine eigene Position darzustellen?
- Bedanke ich mich für die Beiträge anderer?
- Achte ich darauf, dass gute Ideen mit der Person oder der Gruppe verknüpft werden, von der sie stammen? Oder erwecke ich bewusst den Anschein, als ob sie von mir wären?
Sinn und Sorge
Gemeinsames Sinnerleben beeinflusst sowohl die individuelle Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die Zusammenarbeit im gesamten Team. Der Sinn ist jedoch kein Selbstläufer. Er muss immer wieder „aufgeladen“ werden, indem das Denken und Handeln (insbesondere der Führungskräfte) darauf ausgerichtet wird – und er somit wieder erlebbar gemacht wird. Ebenso bedeutend ist der fürsorgliche Blick auf jede einzelne Kollegin und jeden einzelnen Kollegen.
Reflexionsfragen:
- Mache ich deutlich, welche Rolle der Purpose unserer Organisation für mein Handeln/meine Entscheidungen spielt? Spielt er für mich eigentlich eine Rolle?
- Mache ich mir Gedanken darüber, wie meine Verhaltensweisen, meine Worte und meine Entscheidungen auf andere wirken, was sie bei ihnen bewirken und für sie bedeuten?
Selbstverpflichtung
Das Fundament einer starken Gemeinschaft setzt sich aus der Selbstverpflichtung zusammen, die Versprechen einzuhalten und den individuellen Teil der Verantwortung zu tragen.
Reflexionsfragen:
- Halte ich meine Versprechen und Zusagen immer ein?
- Unternehme ich etwas, wenn ich sehe, dass etwas in eine falsche Richtung läuft – auch dann, wenn es nicht in meinem Zuständigkeitsbereich liegt? Oder schaue ich eher weg?
- Hänge ich mich in schwierigen Phasen automatisch stärker rein, ohne darüber nachzudenken, welche Vorteile ich persönlich von meinem Einsatz haben könnte?
Vertrauen
Vertrauen wird häufig auch als das „Schmiermittel der Zusammenarbeit“ bezeichnet, da es im wahrsten Sinne des Wortes die Reibung im Miteinander verringert – die Zusammenarbeit wird schneller sowie der Austausch und das Miteinanderdenken werden nachhaltig gefördert. Das Vertrauen in Organisationen wächst, wenn deren Mitglieder einander das Vertrauen schenken und dieses gerechtfertigt ist.
Reflexionsfragen:
- Übergebe ich Mitarbeitenden wichtige Aufgaben, auch wenn ich nicht sicher sein kann, dass sie diese (schon) meistern können?
- Traue ich meinem Team zu Herausforderungen selbst zu meistern? Oder bin ich (insgeheim) davon überzeugt, dass ohne mich grundsätzlich wenig funktioniert?
Offenheit
Neben der Aufgeschlossenheit gegenüber Entwicklungen und Neuerungen gepaart mit einer gewissen Neugier ist hier vor allem „umweltentbundenes Verhalten“ gemeint – das bedeutet die Fähigkeit eingelernte Reiz-Reaktionsschemata bewusst zu durchbrechen. Eigene Verhaltensweisen, wie etwa eine reflexartige Ablehnung von Veränderungen, ein Verharren in der eigenen Komfortzone oder ein aufbrausendes Auftreten bei bestimmten Triggern, stören das Klima der Zusammenarbeit massiv. Dabei hat die typische Entschuldigung „So bin ich eben“ in einem Ko-System, in dem Offenheit wirklich gelebt wird, keine Gültigkeit mehr.
Reflexionsfragen:
- Reflektiere ich mein Verhalten und versuche es zu ändern, wenn ich damit in der Gruppe anecke, andere vor den Kopf stoße oder den Arbeitsfluss behindere?
- Arbeite ich an mir selbst und versuche, mich so weiterzuentwickeln, dass ich den mir bestmöglichen Part im Kollektiv spielen kann?
- Bin ich bereit mich zu zeigen und möglicher Kritik auszusetzen, um mit dem erhaltenen Feedback zu arbeiten?
Quelle und weiterführende Informationen:
WALLNER & VÖLKL: Train the eight leadership. Edition Summerhill, 2022.