Die Atmung – im Kontext einer ganzheitlichen Gesundheit
Kaum etwas ist so eng mit dem Ausdruck von Lebendigkeit verknüpft wie der Atem. Das weiß unsere westliche Medizin, das wissen auch die jahrtausendealten Traditionen der Chinesischen Medizin – und das spiegelt sich aber auch schon in unserer Sprache wider, wenn wir davon reden, dass etwas uns „die Luft zum Atmen nimmt“, dass unser „Atem stockt“ oder dass wir erst einmal „tief durchatmen“ müssen. Das Atmen ist also ein Kernelement unseres Daseins – denn es ist das Erste, was wir lernen und das Letzte, was wir tun. Im Zentrum dieser Thematik gilt es die Wechselwirkungen zwischen Körper, Geist und Seele zu betrachten und im Sinne einer ganzheitlichen Gesundheit zu verstehen.
Wir atmen durchschnittlich zwanzigtausend Mal an einem Tag. Unser Zwerchfell, als Hauptatemmuskel, leistet also täglich Außergewöhnliches. Sollten allerdings Dysfunktionen in diesem Muskel oder an anderer Stelle bestehen, die unser Atemsystem stören, werden ebenso viele Male disharmonische Impulse an den Brustkorb, unsere Organe sowie an unsere Gelenke und Knochen in den benachbarten Körperbereichen gegeben. Hinzu kommt die nicht zu vernachlässigende Beeinflussung des Nervensystems und vieler anderer Körpersysteme.
Problematisch ist an dieser Stelle, dass sich Dysfunktionen des Zwerchfells häufig unbemerkt integrieren und eher durch allgemeinere, aber durchaus bekannte Symptome zeigen – zum Beispiel: Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, Stimmungsschwankungen, Unruhe, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Zähneknirschen, Geschwollene Beine und Knöchel oder Herz-Kreislauf-Dysregulationen. Möglicherweise können auch gängige Atemfehler – wie zum Beispiel die Press-, Mund- oder Hochatmung – auftreten.
Positive Auswirkungen gezielter Atemtechniken
Ein kurzer Blick auf die zahlreichen Auswirkungen gezielter Atemtechniken auf Körper, Geist und Seele verdeutlicht dagegen, welch ein gewaltiger Hebel die Atmung im Kontext einer gesunden Lebensweise – aber auch in einzelnen Maßnahmen der Gesundheitsförderung – darstellen kann:
Die Bauchorgane und das Lymphsystem
Durch die An- und Entspannung fungiert das Zwerchfell wie eine Pumpe – bei der Anspannung entwickelt sich eine Sogwirkung und die Lungen blähen sich auf, während die Luft durch die Entspannung wieder ausgeatmet wird. Durch diese Pumpbewegung werden die Bauchorgane (wie beispielsweise Dünn- oder Dickdarm) mobilisiert. Zudem setzt sich die Bewegung weiter nach unten fort, sodass auch der Beckenboden sowie die Beckenorgane, wie Blase, Prostata oder Uterus, mobilisiert werden. Gezielte Atemtechniken können somit also die Verdauung stimulieren und vor allem eine gute Durchblutung der Organe gewährleisten. Insbesondere auch die Nieren und die Leber – durch ihren engen Kontakt zum Zwerchfell – werden besonders deutlich mobilisiert und können (aufgrund eben dieser verstärkten Durchblutung) effektiver entgiften.
Das Lymphsystem, als weiteres wichtiges Gefäßsystem in unserem Körper, wird durch die Kraft der Atmung ebenfalls unterstützt – indem Stauungen reduziert werden – sodass indirekt auch unsere Immunabwehr positiv beeinflusst wird.
Das Vegetativum und die Hormone
Die Atmung hat eine harmonisierende Wirkung auf das vegetative Nervensystem. Durch eine gezielte und tiefe Atmung kann der Sympathikus gehemmt und der Parasympathikus stimuliert werden. Die Produktion des Glückshormons Serotonin wird angeregt – während die Stresshormone Adrenalin und Cortisol schneller abgebaut werden können. Dadurch kann sich auch die Schlafqualität, der Spannungszustand der Muskulatur sowie die mentale Gesundheit entsprechend verbessern.
Die Lunge und der Bewegungsapparat
Natürlich wirken sich Atemtechniken auch auf die Lungen selbst aus, indem diese besser belüftet und ebenfalls in ihrer Mobilität unterstützt werden. Durch eine unmittelbare Verbindung der Lungen mit der Halswirbelsäule, dem Schädel und der Clavicula (dem Schlüsselbein) können dadurch Nackenverspannungen, Kopfschmerzen und Haltungsstörungen vermindert werden. Ebenso verhält es sich im Bereich der Brustwirbelsäule, wodurch zum Beispiel auch die Gelenke zur Schulter oder zum Brustbein beweglich bleiben und dieser Teil der Wirbelsäule auch selbst mobilisiert wird. Da die Pfeiler des Zwerchfells sogar bis zum vierten Lendenwirbel reichen, wird letztendlich auch die LWS (Lendenwirbelsäule) beeinflusst – und gezielte Atemtechniken haben somit einen nicht zu unterschätzenden positiven Effekt auf eine aufrechte (und gesunde) Körperhaltung.
Das Gehirn und die kognitive Leistungsfähigkeit
Auch bei den aktuell weit verbreiteten Themen „Müdigkeit“ und „Energielosigkeit“ können gezielte Atemtechniken einen wertvollen Beitrag leisten – denn eine gut trainierte Atmung führt dazu, dass der menschliche Körper weniger Energie verbraucht. Gleichzeitig wird eine optimierte Sauerstoffversorgung der Zellen und ihrer Kraftwerke, den Mitochondrien, gewährleistet. Dies führt zu einer höheren Energiebereitstellung in jeder Zelle sowie zu einer verbesserten Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit und einer insgesamt höheren kognitiven Leistungsfähigkeit.
Beispielhafte Atemtechniken
Zwerchfell-Fahrstuhl
Indikationen:
- Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können
- Stürze auf den flachen Rücken, Unfälle, Traumata
- Stress
- Nackenverspannungen
- Schmerzen im Bereich der Rippen
Ausgangsstellung – Handposition:
Rückenlage mit aufgestellten Beinen – Die Hände werden rechts und links am vorderen Rippenbogen platziert, sodass die Finger unter die Rippen greifen können.
Durchführung:
Mit den Händen am Rippenbogen soll zunächst einmal wahrgenommen werden, wie sich der Brustkorb bei der Ein- und Ausatmung verhält: Wie weitet sich der Brustkorb? Findet eine dreidimensionale Ausweitung statt? Nach dieser Wahrnehmung der Atmung greift man mit den Fingern vorne leicht um den Rippenbogen und begleitet die Bewegung bei der Einatmung nach außen und oben in Richtung der eigenen Schultern. Bei der Ausatmung versucht man diese Position zu halten bzw. die Finger noch einmal weiter unter die Rippen wandern zu lassen. Mit den nächsten Einatmungen wird gespürt, ob die Bewegung nach oben und außen noch weiter begleitet werden kann. Diese Abfolge wird so lange weitergeführt, bis kein Weggewinn mehr mit dem Brustkorb und den Händen nach oben und außen verzeichnet werden kann. Dann wird der Kontakt gelöst und die Hände lockergelassen. Nach drei tiefen Atemzügen beginnt die Technik erneut.
Nervensystem-Entspannungs-Atmung
Indikationen:
- Anspannung und Stress
- Kopfschmerzen oder angestrengte Augen
- Zähneknirschen
- Gefühl einer „fehlenden Mitte“/Innere Unruhe
- Konzentrationsstörungen
- Ängste und Panik
Ausgangsstellung – Handposition:
Rückenlage – Die Zeige- und Mittelfinger beider Hände werden auf die jeweils geschlossenen Augen gelegt.
Durchführung:
In der Ausgangsposition wird zunächst der Kontakt der beiden Zeige- und Mittelfinger gespürt und reflektiert, ob dieser Druck nicht zu unangenehm für die Augen ist. Nun beginnt man mit einer lockeren, tiefen Einatmung. Dabei wird versucht, mit geschlossenen Augen und konstanten Aufliegen der Finger, nach oben zu blicken. Bei der Ausatmung wird der Blick wieder zurück zur Mitte geführt und entspannt. Jetzt gilt es eine kurze Atempause einzulegen bevor mit der folgenden Einatmung erneut nach oben geschaut wird und mit der Ausatmung die Augen wieder in die Neutralposition bewegt werden. Die Technik wird über 15 Atemzüge durchgeführt.