SCHMERZEN VERSTEHEN

SCHMERZEN VERSTEHEN

Um auftretenden Schmerzen zu begegnen und eine dauerhafte Linderung der Schmerzen zu erreichen, brauchen wir Aktivität, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit - und Wissen zu diesem hochkomplexen Thema.

Fakten zur erfolgreichen und dauerhaften Schmerzreduktion

1. Wissen über Schmerzen reduziert Schmerzen

Wenn wir uns Wissen über Schmerzen aneignen - wie sie zustande kommen und wie wir aktiv dagegen etwas tun können - können sich Schmerzen bereits reduzieren. Kenntnisse über Zusammenhänge und über Einflussfaktoren erhöhen in der Regel die Motivation...auf dem Weg zur Schmerzlinderung.

2. Der Schmerz entsteht im Gehirn

Das Gehirn nimmt in der Regel zwischen 40 und 400 Millionen Informationen pro Sekunde von unseren Rezeptoren im Körper auf. Sobald die eintreffende Information in irgendeiner Form eine Bedrohung für den Organismus darstellt, reagiert das Gehirn mit einer entsprechenden Schutzreaktion. Neben Reflexen bzw. motorischen, sympathischen oder endokrinen Reaktionen, dient auch ein Schmerz dem Schutz unseres Körpers.

3. Schmerz ist multifaktoriell

Der sogenannte Schmerz-Eimer oder auch Threat Bucket ist eine häufig genutzte Metapher für die verschiedenen Faktoren oder auch Stressoren, denen der menschliche Körper ausgesetzt ist. Sollte das Fassungsvermögen - übermäßig ausgeübten Sport, Konflikte im sozialen Miteiander oder Schlafmangel - überschritten sein, reagiert der Körper mit einem Schmerz und/oder einer anderen (oben erwähnten) Schutzreaktion. Diesem multifaktoriell bedingten Schmerz kann jedoch auch präventiv begegnet werden, indem wir durch regelmäßiges Training, ausreichend Schlaf oder gesunde Ernährungsweisen sowie der Arbeit an inneren Einstellungen und Glaubenssätzen den Füllstand des Eimers reduzieren und somit einen positiven Einfluss auf unsere Schmerzerfahrungen nehmen.

4. Schmerz hängt relativ wenig mit einem körperlichen Schaden zusammen

Wenn wir uns mit unseren Schmerzen beschäftigen, gilt es anzuerkennen, dass ein Schmerz von zu vielen Faktoren abhängig ist, um ihn nur auf die Biomechanik oder strukturellen Veränderungen reduzieren zu können. Demzufolge geht es bei Schmerzen viel häufiger um Sensibilitäten als um Schäden. Die Sensibilität gegenüber Schmerzen steigt, je voller der Schmerz-Eimer wird. Alleine durch dieses Wissen können wir unseren Gefahrenfilter "Erwartung", "Logik" und "Wissen" und demnach unsere Wahrnehmung positiv beeinflussen.

Schmerzen

5. Die Neuroplastizität unseres Gehirns

Auch die Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns gilt es mit zu berücksichtigen. Es lernt durch ständige Wiederholungen - dies gilt nicht nur für Sprachen oder Musikinstrumente, sondern auch für unsere Schmerzen. Wenn Schmerzen wiederholt auftreten bzw. ausgelöst werden, kommt es zu einer neuroplastischen Veränderung in unserem Gehirn und die Sensibilität gegenüber diesem Schmerz kann sich stetig steigern.

6. Die Anpassungsfähigkeit unseres Körpers

In der Trainings- und Coachingpraxis ist die "Angst vor falschen Bewegungen" ein häufig auftretendes Thema. Dabei gibt es nach aktuellen Studien nicht unbedingt einen direkten Zusammenhang zwischen biomechanischen Ursachen und auftretenden Schmerzen. Es gibt lediglich Bewegungen und Belastungen, für die der Körper noch nicht widerstandsfähig genug ist. Unser Ziel darf es also sein, diese Resilienz mit der Zeit aufzubauen und Intensitäten und Dauer von Belastungen zu steigern bzw. Trainingsreize zu variieren. Dadurch können wir uns mit mehr Selbstvertrauen bewegen und die interpretativen Filter im Gehirn passen sich entsprechend an.

7. Suche nach aktiven Lösungen

Der allgemein verbreitete Glaubenssatz "Ich muss mich schonen." symbolisiert die Einstellung, dass wir durch Passivität zunächst einmal eine Reparatur durchführen müssen - um so den Zustand der Schmerzfreiheit herzustellen. Dieses Zwischenziel ist aber in den einzelnen Fällen mitunter nur schwer zu erreichen. In der Regel können wir aber Bewegungen und Übungen (in der Geschwindigkeit, Intensität oder Dauer) so anpassen, dass eine sofortige Aktivität ermöglicht wird. Diese aktiven Ansätze wirken dabei nicht nur auf der physiologischen Ebene, sondern bringen auch starke psychologische Effekte mit sich. 

8. Angstbehaftete Bewegungen umprogrammieren

Sobald eine Bewegung mit einer Verletzung oder mit starken Schmerzen assoziiert wird, entsteht häufig auch eine Angst davor, genau diese Bewegung durchzuführen. In der Folge wird sie dann langfristig vermieden und damit aus unserem Repertoire gestrichen. Es kann in der akuten Schmerz- und Verletzungsphase mit Sicherheit auch notwendig sein, diese Bewegungen auszulassen und die Sensibilität des Gewebes zu reduzieren. Nach einer solchen Akutphase sollte die angstbehaftete Bewegung allerdings wieder in das Training eingebaut werden - um so die interpretativen Filter des Gehirns zu modifizieren. Für eine erfolgreiche Integration der Bewegung sollten auch hier wieder Intensität, Tempo, Bewegungsumfang und Dauer angepasst werden, sodass sie schmerzfrei durchführbar ist.

9. Kurzzeitige Schmerzverstärkungen sind möglich

Zu guter Letzt gilt es zu verstehen, dass bei chronischen Schmerzen in der Regel schon neurologische Anpassungen stattgefunden haben, die die Sensibilität entsprechend erhöhen. Dies kann dazu führen, dass man in der Aktivität zunächst mit mehr Schmerzen reagiert (=> bewegungsinduzierte Hyperalgesie). In einer solchen Situation besteht natürlich erneut die Gefahr eines oben beschriebenen Angst- bzw. Vermeidungsverhaltens. In diesem Zusammenhang können wir mit einem regelmäßigen "Schmerz-Check" überprüfen, dass die Schmerzen ("trotz der Aktivität") mit der Zeit abnehmen.

Quelle und weiterführende Informationen:

SWAIN, PAN, OWEN, SCHMIDT, BELAVY: No consensus on causality of spine postures or physical exposure an low back pain. Journal of biomechanics, 2020.

Themenbereich:

Bewegung & Ergonomie

Autoren:

André van de Kamp

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